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der älteste, europaweit arbeitende Tierschutzverein für Berner Sennenhunde

„Hätten Sie vielleicht auch einen älteren Hund?“

Diese Frage wird im Tierschutz eher selten gestellt. Aber warum eigentlich?

Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Mit Alter verbinden die meisten Menschen Einschränkungen der Lebensqualität, Krankheiten, das näher rückende Ende. Jeder möchte alt werden, aber nicht alt sein.

Der Wunsch nach einem alten Hund scheint daher unverständlich, leichtsinnig, nicht nachvollziehbar. Wer sich für das Zusammenleben mit einem Vierbeiner entscheidet, möchte eine lange, glückliche, sorgenfreie Zeit vor sich sehen.

Gemeinsame Unternehmungen, den Alltag teilen, füreinander da sein. Der Blick in ein Welpengesicht hat die Hoffnung und den Optimismus darauf scheinbar im Gepäck. Leider aber nicht den dazugehörigen Garantieschein. Niemand weiß, wie lange das Leben dieses Hundes dauern wird. Es kann nach wenigen Jahren durch Krankheit oder Unfall eingeschränkt oder vorbei sein. Ein junger Hund bedeutet also lediglich eine höhere Wahrscheinlichkeit, viel Zeit zusammen zu haben.

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Und ein älterer oder alter Hund somit eine geringere Chance auf glückliche Jahre?
Wenn ich dazu meine beiden älteren Hundedamen befragen könnte, was würden sie mir antworten? „Hör mal, wir sind Berner Sennenhunde. Unsere durchschnittliche Lebenserwartung liegt zwischen 6 und 8 Jahren! Wir sind jetzt 10 und 12 Jahre alt. Weitere Fragen?!“ Nein. Eigentlich nicht. Rein statistisch gehören beide zu einer kleinen Anzahl an Berner Sennenhunden. Aber sie sind da. Sie leben. Sie genießen ihr Rentnerdasein mit den dazugehörigen Zipperlein und Vergünstigungen.

Es ist schwer in Worte zu fassen, welches Glück und welche Dankbarkeit man beim Anblick eines alten Hundes empfindet. Alte Hunde haben einen eigenen inneren Takt. Während sie früher dem Alltag ihres Menschen gefolgt sind, sich angepasst und zurückgenommen haben, schleicht sich mit dem ersten grauen Haar an der Schnauze eine Veränderung in das gemeinsame Leben: Genuss. Morgens etwas länger schlafen, sich nicht von der Hektik des Menschen anstecken lassen. Sich noch mal ausstrecken und etwas dösen, während der Zweibeiner zur Arbeit hetzt. Bei Spaziergängen den Duft der Natur tief einatmen statt dem gestressten Menschen nebendran Gehör zu schenken, der laut Sätze ins Smartphone schreit. Abends den Kopf auf den Oberschenkel des Freundes legen, ihn aus leicht trüben Augen ansehen und ihm sagen: Lass es gut sein für heute, ich bin da.

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Wem es gelingt, diese Augenblicke wahrzunehmen, der erschrickt im ersten Moment. Was ist geschehen? Wo ist der aktive, immer startbereite Hund geblieben, der die letzten Jahre an unserer Seite war? Kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch? Wir müssen erkennen, dass unser Liebling alt wird. Wir sind verzweifelt, traurig, wollen zurück zum Lebensanfang. Aber nicht lange. Denn dann erkennen wir: Das Leben ist ja noch nicht zu Ende, es hat lediglich eine neue Phase begonnen!

Genuss ist nur eine Facette dieses Lebensabschnitts. Ein alter Hund scheint mit jedem Tag mehr zu sich selbst zu finden. Vorlieben werden deutlicher, Abneigungen hingegen auch. Ein alter Hund ist klar, unverfälscht. Das Zusammenleben wird dadurch immer einfacher. Die Irrungen und Wirrungen der Jugend sind abgelegt. Simplify your life at it’s best!

„Das fresse ich, das nicht. Den mag ich, den nicht. Hier gehe ich lang, dort nicht. Ich rieche jetzt an dem Grashalm und gehe nicht weiter. Ich drehe heute eine kleine Runde und laufe keinen Marathon. Ich möchte jetzt gestreichelt werden und nicht spielen.“ Wie oft wünschen wir uns ein solch einfaches Leben!

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Wie ein Fels in der Brandung liegt ein alter Hund oft inmitten des größten Chaos und scheint sich beim Betrachten seiner Menschen gedanklich an die Stirn zu tippen. Nicht, weil er nicht hört oder versteht, was da passiert. Sondern weil er gelernt hat zu entscheiden, ob sich etwas lohnt. In diesem Fall, ob es die ganze Hektik am Ende wert ist.

Ein alter Hund entwickelt aber noch eine weitere Eigenschaft: Zufriedenheit. Während Menschen gerne Defizite benennen („Früher ging das noch. Jetzt klappt es nicht mehr.“) lebt ein Hund im Hier und Jetzt. Er sieht nicht das, was er gestern vielleicht noch konnte, sondern das, was ihm heute gelingt: „Zwanzig Minuten herrlicher Spaziergang an frischer Luft und es roch so schön nach Wild!“ Oder: „Heute tut mein Rücken nicht weh, ich springe ein bisschen im Garten herum!“

Wer es schafft, diese Freuden des Alltags zu erkennen und als das anzunehmen, was sie sind, nämlich ein Geschenk an unseren Hund, der leben und glücklich sein darf, der wird mit sehr viel Dankbarkeit erfüllt. Eine graue Schnauze, taube Ohren, ein etwas verschleierter Blick, dazu ein sanft wedelnder Schwanz und glückseliges Glucksen nach einem genussvollen, einfachen, zufriedenen Tag – das macht das Leben mit einem alten Hund aus und ist unbezahlbar.

Die Beziehung zu einem alten Tier ist intensiv. Nicht, weil mensch das Ende herannahen sieht, sondern weil hund uns erdet. Uns zeigt, was wirklich wichtig ist. Was zählt im Leben. Unbeeinflusst von Stress und Hektik, dem Wollen und Wünschen. Gegenwart leben ohne Reue. Liebe leben ohne Reue. Verbunden sein ohne Reue.

Jedem Hund wünschen wir einen erfüllten Lebensabend, der von Liebe und Respekt begleitet wird. Um so mehr natürlich den Vierbeinern, denen dies in ihrem Leben bisher versagt geblieben ist, weil sie als vergessene, misshandelte, gequälte Lebewesen dem Menschen ausgeliefert waren und ausgenutzt wurden. Wir wünschen uns Menschen, die ihr Herz und ihren Verstand öffnen für ältere Hunde. Die ihren Wert erkennen und auch für das eigene Sein zu schätzen wissen. Trauen Sie sich und stellen Sie uns die Frage: „Hätten Sie vielleicht auch einen älteren Hund?“ Er bringt das Leben mit…

Verfasserin: Daniela O.